Harte Grenzkontrollen, regnerisches Wetter und wiedermal eine Autopanne. Der Nordwesten der USA verlangt einiges von uns ab.
Schon das zweite Mal stehen wir an einer US amerikanischen Grenze. Man könnte meinen die Nervosität hätte sich dank der Routine langsam gelichtet, hat sie aber leider nicht. Wir werden, wie erwartet gebeten unser Fahrzeug zu parken und uns ins Innere des doch einigen grösseren Zollgebäudes als in Alaska, zu begeben. Als wir dann nach endlosem Warten endlich zu einem der Schalter vorgerufen werden, werden wir von der Zollbeamtin erstmal sehr misstrauisch und ohne ein Wort der Begrüssung gemustert. Wir schildern ihr auf ihren Befehl hin unsere Reisepläne und bitten sie, uns die Einreise für sechs Monate zu genehmigen. (Den ersten Schritt dafür haben wir ja schon mit unseren Visa unternommen, es liegt jedoch im Ermessen des Zollbeamten, uns diese sechs Monate auch zu bewilligen.) Ihr Blick verrät bereits, dass sie alles andere als gewillt ist, uns diesen Wunsch zu erfüllen. Uns kommt ein Schwall von Fragen entgegen, die wir allesamt schon auf der amerikanischen Botschaft beantwortet haben, dennoch scheinen unsere Antworten ihr nicht zu genügen. Schliesslich fragt sie uns, wie wir unsere Reise finanzieren wollen und will unsere Bankauszüge sehen. Da wir diese aber nicht griffbereit haben, müssen wir unsere Laptops aus dem Auto holen, auf denen wir zum Glück einigermassen aktuelle Auszüge abgespeichert haben. Entnervt ruft sie uns wieder an den Schalter und weist uns darauf hin, dass wir ja bereits einmal in die USA eingereist sind und ein aktuelles, bis im Januar gültiges Visum besitzen, somit könne sie uns auch kein neues ausstellen, denn der einmonatige Kanada-Aufenthalt zähle nicht als Ausreise. Obwohl dies im Widerspruch steht zu dem, was uns der amerikanische Zollbeamte bei der Ausreise aus Alaska erzählt hat, sehen wir uns nun der Willkür der Zollbeamtin ausgesetzt und beschliessen uns mit den vier Monaten zufriedenzugeben, die uns von unseren Visa noch übrigbleiben. Als wir dann endlich das Zollgebäude verlassen, haben wir das Gefühl nochmal mit einem blauen Auge davongekommen zu sein, denn es hat wirklich den Anschein gemacht, als wolle uns die Dame am Schalter uns die Einreise komplett verweigern, was sie aber wegen des bereits ausgestellten Visums nicht mehr konnte. Völlig entnervt gehen wir zu unserem Van. Nichts wie weg von hier!

Der nächste halt ist Seattle, wo wir Lars, ein guter Freund aus der Schweiz, treffen und der uns für die nächste Woche begleiten wird. Erst geht es aber noch zu zweit auf Entdeckungstour durch die Millionenstadt, denn wir sind, entgegen unserer Erwartungen, einen Tag zu früh dran. Die Fahrt ins Stadtinnere gestaltet sich jedoch abenteuerlich. Nicht umsonst gilt Seattle als eine der schlimmsten Städte der gesamten USA, was die Verkehrsdichte anbelangt. Auf dem teilweise achtspurigen Highway ist eine Ausfahrt schon mal schnell verpasst und so irren wir mehr schlecht als recht in die Richtung unseres Ziels. In der Nähe von Downtown stellen wir Melvan deshalb ab und machen uns zu Fuss auf den Weg zur Spaceneadle und co.
Wir shoppen ein bisschen, trinken Kaffee und schlendern ohne wirkliches Ziel in der Stadt herum. Man könnte fast meinen, wir seien für einen Kurzurlaub hier, wären wir nicht immer nach der Ausschau nach einem dunklen, ruhigen Parkplatz, auf dem wir die Nacht verbringen können. Dies gestaltet sich in grossen Städten schwieriger als man denkt. Ist man in einer zu guten Gegend, klopft in der Nacht plötzlich die Polizei ans Fenster, ist die Gegend zu schlecht, klopfen die Junkies. In einer ruhigen Nebenstrasse in einem Wohnquartier fallen wir auf und auf einer Hauptstrasse machen wegen des Lärms kein Auge zu. Wir hatten Glück und finden einen, von der Strasse aus nicht einsehbaren Parkplatz neben einem Park, der von den Anwohnern in der Nacht nicht genutzt zu werden scheint.

Am zweiten Tag begrüsst uns Seattle mit Dauerregen. In einem Café gehen wir unsere Optionen durch, denn es schüttet leider mittlerweile so unerbittlich, dass selbst mit Regenjacke trocken bleiben schwierig werden dürfte. Ein Museum muss her. Bisher haben wir es stets geschafft, einen grossen Bogen um die ortsansässigen Museen zu machen, denn meiner Meinung nach sind diese die schlechteste Art ein Land und seine Bevölkerung wirklich kennenzulernen (oder wer glaubt nach einem Besuch im Zürcher Kunstmuseum die Freuden und Probleme der Zürcher besser zu verstehen?). Dennoch müssen wir die Zeit bis zu Lars’ Ankunft irgendwie rumbringen und so gehen wir ins MoPOP, ein Museum das der Popkultur gewidmet ist und mit Dauerausstellungen von grossenSeattler Musikern wie Jimi Hendrix, Nirvana und PearlJam wirbt, aber auch immer wieder kleinere Wechselausstellungen anbietet, in unserem Fall geht es um die Filmgenres Horror, Science Fiction und Fantasy. Auch wenn wir schwer für Museen zu begeistern sind, was sich vielleicht aus den vorherigen Zeilen hinauslesen lässt, müssen wir sagen: Echt cool! Die Ausstellungen sind sehr aufwändig und mit Liebe zum Detail gestaltet, vieles ist interaktiv und die Ausstellungsfläche ist riesig. Wir bestaunen Albus Dumbledores riesigen Zauberer-Umhang, stehen vor der Stratocaster auf der Jimmy die amerikanische Nationalhymne in Woodstock gespielt hat und lesen den Originaltext von „Smells like Teen Spirit“ in Kurts krakelig geschriebenem Notizbuch. Zu guter Letzt haben wir dann im Soundlab, einem Tonstudio, indem wir von einem Computerprogramm in die Grundkenntnisse der verschiedenen Instrumente eingeführt werden, unser können zum Besten gegeben.
Und noch ein Highlight hält der Tag für uns bereit, denn wegen der relativ späten Ankunft von Lars wollten wir nicht mehr am selben Abend losfahren. So haben wir uns das erste Mal seit nunmehr fast vier Monaten eine Unterkunft in der Nähe des Flughafens gemietet. Einfach mal so lange warm duschen wie man will, Wäsche waschen und auf dem Sofa chillen, was für ein Luxus! So vergammeln wir den Nachmittag auf der Couch und warten die Ankunft von Lars ab, die wir dann auch knapp verpasst hätten, da das Flugzeug ausserplanmässig eine Stunde früher angekommen ist. Zum Glück haben wir die Flugdaten vorher nochmals kontrolliert und unsere Unterkunft nicht weit weg vom Flughafen.
Nach inniger Begrüssung besprechen wir mit Lars die Route für die nächsten Tage. Leider sagt der Wetterbericht Regen voraus, eine Alternative zum Rundtrip durch den OlympicNational Park zu finden gestaltet sich jedoch schwierig, denn wir müssen Lars in einer Woche wieder am Seattler Flughafen abliefern und so beschliessen wir, den Wetterbericht zu ignorieren und auf gut Glück loszufahren, schliesslich hat sich der Wetterfrosch auf unserer Reise schon einige Male geirrt. Noch schnell das zusätzliche Gepäck verstaut uns los geht’s!

Tatsächlich bleiben auf dem Weg in den Nationalpark trocken und als wir den steilen Weg zur HurricaneRidge, ein beliebter Aussichtspunkt, von dem man weite Teile des Parks überblicken kann und der uns als Ausgangspunkt für unsere erste gemeinsame Wanderung dienen soll, fahren, drückt sogar zeitweise die Sonne durch. Oben angekommen, ist dann leider jegliche Euphorie wieder verflogen, denn es regnet nun in Strömen und die Sichtweite beträgt dank der tief hängenden Wolken kaum zehn Meter. Dennoch schlüpfen wir in unsere Wanderschuhe und trotzen dem Wetter, auch wenn wir uns für die kleinere Runde entscheiden.

Kaum unten angekommen weicht die Wolkendecke einem strahlenden Blau. Verfluchtes Timing! Wir versuchen das beste daraus zu machen und suchen uns einen Campingplatz, auf dem wir die Sonne noch ein wenig geniessen können. Am Lake Crescent werden wir fündig. Zwar liegt unser Stellplatz im Wald, dafür sieht dieser aus wie aus einem Märchen und wir haben Sicht auf den türkisblauen See. Leider ist durch den Regen alles im Wald so nass, dass sich das abendliche Lagerfeuer nur schwer entzünden lässt und nachdem wir feststellen müssen, dass das mit der Zeitung Luft zu wedeln wärmer gibt als das Feuer selbst, resignieren wir, schlüpfen in unsere Schlafsäcke und versuchen die Kälte wegzuträumen.

Wir wollen raus aus den Wäldern, die die Feuchtigkeit speichern wie ein feuchter Schwamm. So fahren wir an die Westküste der Halbinsel und tatsächlich wird das Klima etwas angenehmer. Zwar sind wir immer noch weit entfernt von Badewetter, allerdings schafft es hier die Sonne immer wieder durch die Wolkendecke zu brechen und uns ein wenig zu wärmen. So schlendern wir an den beiden rauen Stränden La Push und Mora entlang, bestaunen die Felsformationen, die in der Bucht majestätisch aus dem Wasser ragen und geniessen die Einsamkeit um uns herum.

Obwohl wir den Wald eigentlich meiden wollten, kommen wir um einen nicht herum: den HohRainforest. Mit der Einstellung, dass wir schon wieder verregnet werden (denn was will man in einem Regenwald anderes erwarten?), fahren wir erst mit dem Auto die etwas über 30 Meilen bis ins Innere des Nationalparks. Danach geht es zu Fuss immer tiefer in den Wald hinein. Erst begegnen uns noch hie und da mal Wanderer, doch bald sind wir alleine unterwegs. Die Szenerie ist atemberaubend schön. Wir folgen einem, sich durch den Regenwald schlängelnden Fluss und immer wieder ändert sich die Landschaft und Vegetation abrupt und auch einer Roosevelt Elk Herde begegnen wir, der wir mit gebührendem Abstand beim Fressen zusehen. Und auch das Wetter meint es für einmal gut mit uns, denn entgegen unserer Erwartungen kommen wir bei unserem Van an, ohne von der Regenjacke Gebrauch gemacht haben zu müssen.
Leider schlägt das Wetter wieder um und die Tage schleichen so dahin, ohne dass wir gross etwas unternommen hätten. Die Nässe zehrt an uns. Zum Glück haben wir ein Vordach, dass wir als Regenschutz nutzen können, denn ansonsten wäre es zu dritt in unserem Van auf lange Zeit wirklich etwas eng geworden. Gegen Ende mussten wir so lumpig ausgesehen haben, dass uns unsere Campingnachbarn zu sich ins geräumige und beheizte Wohnmobil eingeladen haben. Eine Einladung die wir dankend annahmen. Bei Wein und Cookies stellte sich dann sogar heraus, dass die beiden ganz in der Nähe von Livias Heimatort wohnen und wieder einmal lachen wir darüber, wie klein doch die Welt ist.
Die Hoffnung auf gutes Wetter langsam aufgegeben, machen wir uns am nächsten Tag auf nach Seattle, denn Lars hat bei seiner Ankunft noch gar nichts von der Stadt gesehen und wir viele Sehenswürdigkeiten ausgelassen, da wir dies zusammen mit ihm besichtigen wollen. Oder besser gesagt wollten uns aufmachen, denn Melvan startet zwar, tut aber nach wenigen Metern keinen Wank mehr. Nach mehreren Versuchen die, mal nach ein paar Metern, mal nach einem Kilometer, immer damit enden, dass vom Motor bis zum Scheibenwischer gar nichts mehr geht, sehen wir es ein, der Abschleppdienst muss her. Die Stimmung ist am Nullpunkt angelangt. Wir haben nach dem ewigen Starter-Problem einfach keine Nerven mehr für solche Situationen. Schlecht gelaunt lassen wir uns bis nach Seattle in eine VW-Garage abschleppen, in der Hoffnung, dass diese Melvan gleich am Montagmorgen unter die Lupe nehmen kann. Da wir mit einem solchen Szenario nicht rechnen konnten, haben wir natürlich auch keine Unterbringung und schlafen mehr schlecht als recht vor der Autogarage. Am nächsten Morgen schiebt uns der Besitzer der Autogarage freundlicherweise gleich als erstes rein und schaut sich unser Problemkind an. Kurz darauf dann die Hiobsbotschaft: Der Motor hat zu geringe Kompression, was heisst, wir müssten den gesamten Motor ersetzten, was sie in dieser Garage allerdings nicht anbieten, wir müssen also eine andere Werkstatt finden, die auch noch einen so seltenen Motor vorrätig hat. Mit einem solchen super GAU haben wir nicht gerechnet. Wir sehen uns schon im Flieger nach Zürich, versuchen aber die Nerven zu bewahren und die Situation irgendwie zu managen. Nach reichlicher Internetrecherche finden wir NorthWesty, eine Garage unweit von Seattle, die sich auf VW Vanagons spezialisiert hat und rufen diese gleich an. Wir schildern dem Besitzer, Kirk unser Problem. Glücklicherweise hat er noch einen passenden Motor an Lager, ist sich aber nicht 100% sicher, ob dieser schon verkauft wurde oder nicht, denn für diese Angelegenheiten kümmert sich normalerweise der Shopmanager Erik, der heute allerdings nicht erreichbar ist. Ausserdem sei er eigentlich bis im Januar ausgebucht und wisse wirklich nicht, ob er uns so kurzfristig aufnehmen könne. Wir sollen es morgen nochmals probieren. Am Ende unserer Kräfte scheint uns eine Vertagung auf Morgen nicht die schlechteste Idee. So können wir das Problem kurzfristig so gut wie es geht beiseitelegen, trotzdem mit Lars noch die Stadt erkunden und morgen wieder etwas gestärkter an die Lösungsfindung gehen. Wir beziehen unsere Unterkunft in Seattle, streifen noch ein wenig durch die Stadt, kehren nach einer unruhigen Nacht wieder zu der VW Garage zurück, bei der wir unseren Van netterweise unterstellen durften und machen das alles entscheidende Telefonat. Uns kommen fast die Tränen, als wir hören, dass der Motor leider schon verkauft ist, dennoch flehen wir Erik an, sich unseren Melvan mal anzuschauen. Nach einer Stunde, die uns wie eine Ewigkeit vorkam, ruft er uns zurück und sagt uns, wir sollen vorbeikommen. Wir fühlen uns, als hätten wir eine Audienz beim Papst höchstpersönlich erhalten und lassen unseren Melvan gleich darauf zur neuen Garage abschleppen. Dort werden wir herzlich von Erik und Kirk empfangen und schildern nochmals unser Problem, beziehungsweise den Verlauf unserer Panne. Mit hochgezogenen Augenbrauen schauten uns die beiden an. Wie aus einem Mund sagen sie: „Das klingt aber überhaupt nicht nach einem Kompressionsproblem.“ Und schon verschwindet Kirk im Fahrerraum unter dem Steuerrad und hantiert an den tausenden Kabeln herum, die dort zusammenlaufen. Wir lassen ihn seine Arbeit machen und gehen erst mal, vor allem zur Ablenkung, das Grab von Jimi Hendrix besuchen, dass sich ganz in der Nähe befindet. Als wir wieder zurückkommen und den Bescheid erhalten, dass sich nur das Kabel für die Hauptstromversorgung gelöst hat, weil dieses schlecht montiert war, fällt und ein riesen Stein vom Herzen. Überaus Dankbar und tief erleichtert lassen wir Melvan gleich noch einen weiteren Tag für einen Komplettservice da, denn wir sind uns sicher, dass wir so kompetente Mechaniker wahrscheinlich auf unserer Reise nicht mehr finden werden und wollen deshalb die Gelegenheit gleich nutzen. So nehmen wir ein weiteres Mal den Bus in die Stadt, was uns ehrlich gesagt sowieso lieber ist, und feiern mit Lars die guten Nachrichten uns seinen letzten Tag ausgiebig.
